Experten blicken in die Zukunft beim Kongress der Deutschen Gesellschaft für Wehrtechnik

Smarte Digitalisierung der Kriegsführung mit KI - Modell mit gewissen Risiken

Experten blicken in die Zukunft beim Kongress der Deutschen Gesellschaft für Wehrtechnik

Smarte Digitalisierung der Kriegsführung mit KI - Modell mit gewissen Risiken

Berlin, 14. November 2022

Die technischen Innovationen der Moderne - und vor allem die Möglichkeiten durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) - gewinnen immer mehr Bedeutung für Verteidigungsthemen. Auf dem DWT-Kongress „Smart und Digital Bundeswehr“ stellten Experten aus Wissenschaft und Militär ihre Ansichten dazu vor. Ein Austausch, geprägt von Erkenntnissen und Kontroversen. Und vor allem von der Frage: Was bedeutet "smart" in diesem Kontext eigentlich? Eine Nahaufnahme von unserer Kollegin Dr. Sarah Katharina Kayß.

 
Digitale Transformation ist dringend erforderlich für eine erfolgsfähige Landes- und Bündnisverteidigung

Generalleutnant Michael Vetter, Abteilungsleiter Cyber- und Informationstechnik im Bundesministerium der Verteidigung

 
 

Definition KI

Künstliche Intelligenz ist die Fähigkeit einer Maschine, menschliche Fähigkeiten wie logisches Denken, Lernen, Planen und Kreativität zu imitieren (Europäisches Parlament)

Digitalisierung ist kein Trend mehr, sie ist allgegenwärtig. IT- und Technikkonferenzen widmen sich diesem Thema seit Jahren in all seiner Komplexität. Beim jüngsten Kongress der Deutschen Gesellschaft für Wehrtechnik (DWT) zum Thema „Smart und Digital Bundeswehr“ legte man den Schwerpunkt bewusst auf das im Titel verankerte Wort SMART: Smarte Digitalisierung. Aber was genau macht eigentlich smarte Digitalisierung aus? Und: Verstehen wir unter smart alle dasselbe? Woraus die Anschlussfrage folgt: Ist smartes Handeln reine Auslegungssache - oder klar definierbar?

Die Referenten auf der diesjährigen DWT-Konferenz bemühten sich deshalb in ihren Vorträgen um eine Annäherung an das Thema smarte Digitalisierung: Problemfelder, Chancen und Risiken wurden aufgezeigt und diskutiert.

Schaffung einer Digitalkultur

Methoden und Möglichkeiten der modernen Kriegsführung befinden sich in einem rasanten Transformationsprozess. Das bestätigte so auch Generalleutnant Michael Vetter, Abteilungsleiter Cyber- und Informationstechnik (CIT) im Verteidigungsministerium, der ausführte, dass die Konfliktbilder zunehmend hybrider und komplexer werden würden. Eine digitale Transformation, so Vetter, sei daher dringend erforderlich für eine erfolgsfähige Landes- und Bündnisverteidigung (LV/BV). Smarte Digitalisierung in der Bundeswehr bedeute dabei aber nicht nur Digitalisierung des Gefechtsfeldes, sondern auch der internen (Papier-)Prozesse - ebenso wie die Schaffung einer Digitalkultur innerhalb des Verteidigungsressorts.

Smart, so Vetter weiter, bedeute gleichermaßen taktisch wie auch ökonomisch kluges Vorgehen – denn die Digitalisierung erfordere einen hohen finanziellen Einsatz, da es sich nicht um eine Einmalinvestition handelt. Um agiler zu werden, benötige die Bundeswehr einen planbaren Finanzrahmen, der Stabilität bietet. Erst auf Grundlage dieser Stabilität, betonte Vetter, könne die Bundeswehr zukünftig agil handeln.

Computer lesen Gedanken

Smartes Agieren bedeutet auch Zeitersparnis, gerade beim Einsatz von KI: Auf dem Gefechtsfeld der Zukunft wird die Geschwindigkeit der verschiedenen Kriegsparteien großen Einfluss über deren Sieg oder Niederlage haben. Schnelleres Handeln soll zukünftig beispielsweise dadurch ermöglicht werden, dass wir unsere Gedanken und somit auch Befehle und Vorgaben nicht mehr ausformulieren müssen: Weder mündlich noch schriftlich. Im Rahmen von Brain-Computer-Interfaces (BCI) wird es Computern in Zukunft möglich sein, unsere Gedanken zu lesen, sie zu verstehen und umzusetzen. Der Text des deutschen Volkslieds „die Gedanken sind frei“ bekommt da direkt eine ganz andere Bedeutung.

Dr. Christian Hummert, Geschäftsführer der Agentur für Innovation in der Cybersicherheit, forscht derzeit im Bereich BCI. Er befürwortet den Einsatz der neuen technischen Möglichkeiten und sagt, sie würden viele neue, erstrebenswerte Möglichkeiten eröffnen. Smart ist für ihn aber auch – und daher sein Appell an die Forschung -, technologieimmanente Risiken bei der neuronalen Mensch-Maschine-Interaktion bereits bei der (Weiter-)Entwicklung dieser Technologien kontinuierlich mitzudenken. Entgegen der Entwicklungen in anderen Bereichen der Digitalisierung, sei Deutschland im BCI-Bereich technologische Spitze. Auch wenn die Forschungscommunity im Bereich BCI überschaubar sei, betont Hummert, gebe es exzellente, interdisziplinäre Forschungsergebnisse: Made in Germany.

Prof. Dr. Frank Flemisch vom Fraunhofer-Institut für Kommunikation, Informationsverarbeitung und Ergonomie (FKIE), nutzt seine Vortragszeit, um auf Risiken neuartiger KI-Systeme hinzuweisen. Für ihn ist es smart, wenn Risiken im Zusammenspiel von KI und Autonomie im Führungsprozess direkt mitgedacht werden.

Anders als auf so mancher Rüstungsmesse wurde deshalb nicht nur diskutiert, warum die neuen Systeme (Kampf)-Vorteile generieren können, sondern auch, dass smartes Agieren bedeute, Konsequenzen und Risiken der neuen Technologien kontinuierlich neu abzuwägen und zu bewerten.

 

Die Frage der Moral

Dr. Jürgen Altmann von der TU Dortmund forderte in diesem Sinne noch einmal mit Nachdruck, dass es geboten sei, moralische Maßstäbe bei der Weiterentwicklung von KI mit einzubeziehen. Sein Appell: Bei der Entwicklung modernster Technik sollten auch immer westliche Werte und Normen bedacht werden. Was, so seine kritischen Einwürfe, wenn wir uns auf autonome KI-Systeme verlassen und der Computer falsch entscheidet?

Was, wenn künstliche Waffensysteme durch eine Fehlfunktion angreifen und somit zukünftig Kriege auslösen? Gravierende Fehlentwicklungen dieser Art sollten von vorneherein (technisch) ausgeschlossen werden können. „Alles richtig", so ein kritischer Einwurf, "aber Moral kann anderen Kriegsparteien nicht verordnet werden und führt im schlimmsten Fall zu unserer Niederlage. Was, wenn wir künftig versuchen moralisch korrekt zu handeln, der Gegner sich an derlei moralische Bedenken aber nicht hält und dadurch einen strategischen Vorteil für sich generieren kann?“ Die Antwort auf diese Frage aus dem Publikum blieb unbeantwortet und zeigt daher ein Spannungsfeld auf, für das es bislang keine Lösung gibt.

Vorteil Zeitgewinn

Überaus smart scheinen die Ideen der Luftwaffe in Bezug auf eigene Dokumentationsprozesse und die Zukunftsvision der Luftverteidigungsplanung zu sein. Um das Dokumentationssystem für Techniker mit Verantwortung im Bereich der deutschen Kampfflugzeuge zu vereinfachen und effizienter zu gestalten, hat man dem Unternehmen SAP einen Vorschlag unterbreitet, wie das technische Dokumentationssystem angepasst werden müsste, um (dem Techniker) Zeit zu sparen und eine Individuallösung für das jeweilige Flugsystem zu generieren. Geplant und realisiert. Die neue, nutzerorientierte Oberfläche für die Luftwaffe in der Standard-Anwendungs-Software-Produkt-Familie (SASPF) wird in der Praxis bereits eingesetzt.

Smarte Digitalisierung bedeutet nämlich auch Mut zu haben und Dinge selbst in die Hand zu nehmen, wenn sich im großen, schwerfälligen System Dinge nur langsam bewegen lassen. Denn: Wenn solche Insellösungen funktionieren, dienen sie allen anderen Bereichen als Vorbilder einer sinnvollen und wertstiftenden Digitalisierung. Nun muss der Techniker weniger Zeit vor der Konsole verbringen und gewinnt dadurch Zeit, die er für die Wartung des Flugobjekts nutzen kann. Eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten. Das gesamte Verfahren ist insofern nicht nur smart, sondern könnte auch als Vorreiter für andere Bereiche der Bundeswehr dienen, die ebenso mit Prozessanpassungen hadern.

Oberst Stefan Schipke, ebenfalls von der Luftwaffe, erläuterte, wie der Einsatz von Virtual Reality (VR) und KI künftig eine Beschleunigung der Planungsprozesse bei der Luftwaffe treiben kann: Smart ist dabei vor allem, dass sich die Planer der Luftwaffe zukünftig schnell und einfach in einem virtuellen Raum treffen könnten, um sich dort auszutauschen und zusammenzuarbeiten, unabhängig von ihrem jeweiligen Dienststandort. Gerade in puncto Personalknappheit, werden die Ressourcen so sinnvoll gebündelt und fehlen nicht vor Ort, weil sie sich auf Dienstreise befinden.

Verfahren bei Störungen

Aber was passiert, wenn die VR gehackt wird oder es zu einem flächendeckenden Stromausfall kommt? Bedeutet dies nicht den Kollaps des gesamten Planungssystems? Keineswegs, wenn man das System smart aufgesetzt habe, kontert Schipke kritische Anmerkungen, denn man sei immer noch flexibel genug, um die Experten aus den einzelnen Verbänden auch in Persona zusammen zu ziehen. Was bedeutet: Man macht sich nicht komplett abhängig vom virtuellen Zugang, sondern kann auf herkömmliche Verfahren zurückgreifen, sollte es zu Störungen kommen.

Zusammenfassend lässt sich daher festhalten: Smarte Digitalisierung bedeutet vor allem, strategisch klug zu agieren, sich der Risiken stets bewusst zu sein, Prozesse zu verschlanken und zu vereinfachen – immer mit Blick auf den Vorteil des Anwenders. Smart bedeutet in diesem Kontext aber vor allem auch: Mut zu beweisen und neue, nicht etablierte Wege zu gehen. Den Mut zu haben, auch mal zu scheitern, aus Fehlern zu lernen und sich nicht beirren zu lassen. Und damit Vorreiter für andere zu sein – trotz all der Hürden die man überspringen muss.

 

Ihre Ansprechpartnerin

Dr. Sarah Katharina Kayß

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Sarah Katharina Kayß ist promovierte Militärsoziologin und seit 2018 Teil des Teams der BwConsulting. Sarah hat sich viele Jahre mit den personellen Realisierungsoptionen eines europäischen Verteidigungs-
bündnisses sowie der Berufsmotivation und dem Mindset junger Offiziere auseinandergesetzt. 2019 erhielt sie als erste Deutsche den renommierten ERGOMAS Award für ihr im Vorjahr bei Routledge erschienenes Buch „Identity, Motivation and Memory“. Seit 2020 beschäftigt sie sich verstärkt mit Fragen der Personalbindung- und Rekrutierung im Cyber-
sicherheitsbereich.