BwConsulting-Beraterin gewinnt als erste Deutsche den renommierten ERGOMAS Book Award

BwConsulting-Beraterin gewinnt als erste Deutsche den renommierten ERGOMAS Book Award

BM // Berlin, 16.10.2019

Sarah Katharina Kayß ist Historikerin und promovierte Militärsoziologin und seit einem Jahr Teil des Beraterteams bei der BwConsulting. Als erste Deutsche gewinnt sie in diesem Jahr den renommierten ERGOMAS Book Award für ihr Buch “Identity, Motivation and Memory: The Role of History in the British and German Forces“. Der ERGOMAS-Preis zeichnet alle zwei Jahre die weltweit besten und wichtigsten Publikationen im Bereich Militärsoziologie aus. In einem Interview gewährt Sarah uns einen spannenden und zugleich überraschenden Einblick in ihre Forschungsarbeit über die Berufsmotivation und Identität deutscher und britischer Offizieranwärter.

Über ERGOMAS

Die ERGOMAS (EUROPEAN RESEARCH GROUP ON MILITARY AND SOCIETY) vereint Soziologen und Politologen, die sich in ihrer Arbeit mit dem Verhältnis von Militär und Gesellschaft auseinandersetzen sowie transnationale, interkulturelle und interdisziplinäre Vergleiche zwischen Streitkräften erstellen. Die ERGOMAS-Konferenz findet alle zwei Jahre statt und ist die weltweit größte, bekannteste und wichtigste Konferenz für Militärsoziologen. Zuerst nur europäisch, ist die ERGOMAS mittlerweile international mit Mitgliedern aus Europa, Israel, den USA und Kanada.
Kurzvita

Dr. Sarah Katharina Kayß ist Historikerin und promovierte Militärsoziologin. Nach Abschluss ihrer Dissertation am War Studies Department am King’s College London war sie Gastwissenschaftlerin am ZMSBw und Dozentin in War & Conflict Studies an der Universität Potsdam. Seit Oktober 2018 ist sie Beraterin bei der BwConsulting. In ihrer Freizeit engagiert sie sich in Kunstprojekten und veröffentlicht seit über zehn Jahren Essays und Lyrik. Ihr letzter Gedichtband ist preisgekrönt und viele ihrer Fotografien zieren nationale und internationale Buch- und CD-Cover.

Liebe Sarah, erst einmal herzlichen Glückwunsch zu diesem tollen Preis. In deinem preisgekrönten Buch gibst du Einblicke in die Berufsmotivation- und Identität von Offizieranwärtern in Deutschland und Großbritannien. Warum hast du dich für dieses Forschungsthema entschieden?

Mich hat einfach interessiert, warum sich junge Menschen entscheiden, diesen Berufsweg einzuschlagen, was sie antreibt und motiviert, und ob die Deutschen andere Gründe haben als die Briten.

Unterscheiden sich die deutschen stark von den britischen Offizieranwärtern?

Ein britischer Offizieranwärter sagte mal zu mir, er habe mit deutschen Offizieranwärtern sicherlich mehr gemeinsam als mit den Menschen, die in seiner Stadt außerhalb der Kaserne leben. In gewisser Weise stimmt das. Ich habe mich jedoch primär mit der intrinsischen Berufsmotivation der deutschen und britischen Heeresoffiziere beschäftigt. Und die unterscheidet sich in vielen Belangen doch sehr.

Inwiefern?

Ihr Blick auf die Welt und die Vergangenheit ihrer Länder ist sehr konträr. Stark vereinfacht könnte man sagen, die Briten beziehen sich gerne auf die Vergangenheit und lassen sich von ihr inspirieren und motivieren, während sich die Deutschen von der Vergangenheit lieber bewusst abgrenzen oder sich vereinzelt Geschichtsbilder nach Maß zurechtlegen. Natürlich ist das im Detail alles wesentlich komplexer. Ungeachtet dessen, wie der einzelne Soldat nun mit der Vergangenheit umgeht, hat die nationale Erinnerungskultur starken Einfluss darauf, welche Rolle die Vergangenheit bei der Ausgestaltung der soldatischen Identität spielt. Diese hat wiederum starken Einfluss auf die Arbeitsmotivation, bestimmte Verhaltensmuster und das Gruppenverhalten junger Offiziere.

Sind das deine zentralen Forschungsergebnisse?

Unter anderem. Die prägnantesten Unterschiede zwischen den deutschen und britischen Offizieranwärter gehen entweder auf ihre Verpflichtungsdauer oder ihre Weltanschauungen zurück. Beide Punkte sind wiederum eng miteinander verbunden. Britische Offiziere, die sich zunächst nur für vier Jahre verpflichten, von denen anderthalb Jahre Ausbildung sind, haben eine ganz andere Perspektive auf ihren Job als deutsche Offiziere, die sich für 13 Jahre verpflichten. Die britischen Offiziere können die Armee bereits mit Anfang/Mitte zwanzig wieder verlassen, während die Deutschen Anfang dreißig sind, bevor sich entscheidet, ob sie die Armee verlassen oder Berufssoldaten werden.

Was bewirkt das konkret?

Viele Briten gehen nach vier Jahren Armee in den Finanzsektor oder die Politik. In Großbritannien gehört es bei der gesellschaftlichen Elite zum guten Ton, mal Offizier gewesen zu sein. Viele dieser Offiziere wollen ein Abenteuer erleben, bevor es für sie in einem völlig anderen Leben weitergeht. Dazu gehört auch das Erleben von Krieg. Die Deutschen haben da eine wesentlich nüchternere Einstellung, vor allem in Bezug auf Kampfeinsätze. Sehr konträr zu den Deutschen gaben auffällig viele der britischen Offizieranwärter an, im Kampfeinsatz gegen andere kämpfen zu wollen.

Sie wollen Krieg erleben?

Sie wollen sich beweisen und alles zum Einsatz bringen, was sie an der Royal Military Academy Sandhurst gelernt haben. Die Ausbildung in Sandhurst ist sehr infanterielastig angelegt. Für alle angehenden Heeresoffiziere, also nicht nur diejenigen, die in den Kampftruppen dienen werden. Das prägt die jungen Soldaten. Anders als der überwiegende Teil der Deutschen, die den Kampfeinsatz als Teil ihres Berufs wahrnehmen, ist er treibendes Element für den Berufswunsch der britischen Offiziere. In Großbritannien geht das sogar so weit, dass die Rekrutierungszahlen in die Höhe schießen, sobald sich das Land an einem Kampfeinsatz beteiligt. Das ist jetzt natürlich stark vereinfacht dargestellt, aber diese Art der Kampfmotivation, ebenso wie die Unterschiede in der Ausbildung, ist verankert in einem ganz anderen Umgang mit der Vergangenheit und das hat mich sehr fasziniert.

Das bedeutet, du hast dich mit unterschiedlichen Denkweisen auseinandergesetzt?

In weiten Teilen des Buches, ja. Ich setze mich mit den Geschichtsbildern der Offiziere auseinander. Während meines Geschichtsstudiums habe ich mich schon immer mehr dafür interessiert, was wir heute aus der Vergangenheit machen und wofür wir sie nutzen, als das, was wirklich passiert ist. Unsere Kultur, unser Umgang mit Geschichte, all das wirkt bewusst oder unbewusst auf uns, unsere Einstellungen, unsere Identität. Das wollte ich verstehen lernen. Damals haben sich knapp 1000 Offizieranwärter an meiner Studie beteiligt. Ich war lange an der Royal Military Academy Sandhurst und zwischendurch ein paar Mal in Deutschland in Dresden an der Offizierschule des Heeres und in Hamburg an der HSU, um Gespräche zu führen und mein Projekt mit den jungen Offizieren zu diskutieren.

Gibt es etwas während deiner Forschungsarbeit, was dich besonders beeindruckt hat?

Meine Zeit an der Royal Military Academy Sandhurst mit den britischen Offizieranwärtern war etwas Besonderes. Die britische Armee hat mich bei meiner Arbeit sehr unterstützt. Ich durfte dort schlafen, hatte meinen eigenen Raum zum Interviewen und konnte an allem teilnehmen, was mich interessierte. Bessere Bedingungen kann man sich als Wissenschaftler gar nicht wünschen. Aber es wurde alles noch viel besser durch Captain C., der mir an die Seite gestellt wurde: Ein humorvoller Engländer aus einem der britischen Traditionsregimenter. Er nahm mich mit auf Paraden, stellte mir alle vor, setzte durch, dass ich in der Officers Mess essen durfte – überhaupt brach er mit ein paar Traditionen, damit ich alles sehen und erleben durfte. Wenn ich Preise vergeben dürfte: Er hätte einen verdient.

Die Jury konntest du mit deinem lebendigen Schreibstil, Originalität und der Idee, Geschichtsvorstellungen in Zusammenhang mit Berufsmotivationen zu stellen, überzeugen. Was hast du anders als andere Autoren gemacht, was macht das Buch so besonders?

Ich glaube, was es anders macht als viele Bücher aus dem wissenschaftlichen Bereich, ist, dass ich es vorrangig für junge Offiziere geschrieben habe und nicht für ein akademisches Publikum. Darüber hinaus belege oder widerlege ich keine bestehende Theorie, wie viele Bücher in diesem Fachbereich (den so genannten: enlistment studies), sondern habe meine eigene Theorie aufgestellt und bewiesen. Der Ansatz war daher sehr pragmatisch. Unterhaltsam wird das Buch, weil ich die Offiziere viel selbst zu Wort kommen lasse – im Prinzip gebührt ihnen ebenso ein Preis – denn es sind die vielen spannenden, lustigen und vor allem ehrlichen Zitate der jungen Soldaten, die das Buch lebendig machen. Die einzige Lesehürde ist daher, dass es auf Englisch ist.

Seit Oktober 2018 bist du als Beraterin bei der BwConsulting tätig. Warum hast du dich für diesen Job entschieden?

Ich habe großen Spaß daran, neue Herausforderungen zu suchen. Als ich damals mit meiner Dissertation über die Bundeswehr begonnen habe, wusste ich schlichtweg gar nichts übers Militär. Von Null anzufangen räumt mir Perspektiven ein, die mir wichtig erscheinen für das, was ich im Leben noch vorhabe. Die Beraterwelt war mir völlig fremd und ich habe, gerade in den ersten Monaten, viel Neues gelernt und eine völlig neue Perspektive auf die Bundeswehr gewinnen können. Genau das hat mich gepackt: eine neue Herausforderung und die Möglichkeit als Beraterin, aber auch als Militärsoziologin, für die Bundeswehr arbeiten zu können, das war und ist mir sehr wichtig.

An welchen Projekten konntest du mitwirken und was macht dir besonders viel Spaß?

Besonders viel Spaß macht mir die direkte Arbeit mit Soldaten und die Möglichkeit, sich kreativ in die Projektarbeit einbringen zu können. Natürlich bin ich mit meinem akademischen und beruflichen Hintergrund nicht die klassische Beraterin, aber ich glaube, dass es von enormen Vorteil ist, unterschiedlich denkende Leute im Team zu haben. Captain C. berichtete mir einmal, die meisten Soldaten aus seinem Regiment wären Engländer aus derselben Region, hätten ähnliche Hobbies und Interessen, gute Schulen besucht und ähnliche Fächer in den englischen Eliteuniversitäten studiert. Das sei gut, um traditionell zu bleiben und schlecht, um sich einer immer komplexer werdenden Welt anzupassen, weil alle aufgrund ihres kulturellen, sozialen und bildungstechnischen Hintergrund in ähnlichen Strukturen denken – hier fehle Komplexität. Bei der BwConsultung haben wir diese Komplexität und ich empfinde das als eine große Bereicherung.