In einer dreiteiligen Serie werfen wir den Blick auf die Operationelle Architektur, mit der die Bundeswehr Führungsfähigkeit sicherstellt und bei der die BwConsulting berät.
Autorenteam BwConsulting und BMVg SE III 3 // Berlin, 27. Oktober 2023
Das Bedrohungsszenario der Moderne erstreckt sich neben den „klassischen“ militärischen Dimensionen (Land, Luft, See) auch auf den Cyber-/Informations- und den Weltraum sowie zivile Dimensionen. Dies eröffnet neue Herausforderungen, aber auch neue Möglichkeiten für die eigenen Kräfte. Zur zielgenauen Nutzung dieser Optionen wird derzeit eine neue Art der Operationsführung entwickelt, die man mit dem Begriff „Multi Domain Operations (MDO)“ charakterisiert. Bei dieser Entwicklung unterstützt die Operationelle Architektur.
Spätestens seit dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine hat die Landes- und Bündnisverteidigung (LV/BV) wieder höchste Priorität auf der politischen und gesellschaftlichen Agenda. LV/BV ist der eigentliche Kernauftrag der Bundeswehr: Im Zuge dessen muss sie nicht nur die Sicherheit, den Schutz und die Freiheit der eigenen Bevölkerung sowie des Bündnisses garantieren, Deutschland fungiert zudem auch als logistische Drehscheibe und ist damit ein Schlüsselelement der Bündnisverteidigung von NATO und Europäischer Union.
Neuzeitliche Bedrohungsszenarien
Zu Zeiten des Kalten Krieges war die gesamte Bundeswehr auf ein konkretes Bedrohungsszenario ausgerichtet. Durch die stärkere Fokussierung auf das Internationale Krisenmanagement und die Einforderung der Friedensdividende in den nachfolgenden Jahren war die Landes- und Bündnisverteidigung zeitweilig in den Hintergrund gerückt. Nicht nur materiell und personell wurde abgerüstet, auch Verfahren wurden nicht mehr regelmäßig geübt. Die im Zuge dessen verlorenen Fähigkeiten müssen nun schnellstmöglich wiedererlangt, das abgerüstete Material wiederbeschafft werden, um in dem neuzeitlichen hybriden, hochdynamischen, diffusen Bedrohungsszenario den LV/BV-Auftrag optimal erfüllen zu können.
Multi Domain Operations im Kontext der LV/BV
Aufgrund der multinationalen Ausrichtung und dem Fokus auf die Aktivitäten im Bündnis orientiert sich die Bundeswehr an der NATO-Definition des Begriffes. Demnach ist MDO:
„The orchestration of military activities, across all domains and environments, synchronized with non-military activities, to enable the Alliance to deliver converging effects at the speed of relevance.“ NATO initial concept for MDO (07/2022)
Es geht also darum, den Gegner durch möglichst viele gleichzeitig ausgeführte militärische und nicht-militärische Aktivitäten über verschiedene Dimensionen hinweg und in verschiedenen Umgebungen zu überfordern. Man kann sich den Effekt vorstellen wie ein Orchester, in dem verschiedene Instrumente zusammenwirken; zwar klingen die Instrumente auch alleine, jedoch erst im Zusammenspiel erzeugen sie den maximalen Effekt.
BMVG SE III 3
Die Abteilung Strategie und Einsatz (SE) ist insbesondere für die Leitung, Vorbereitung, Planung und Steuerung von Einsätzen verantwortlich, genauso wie für die Unterstützung des Generalinspekteurs der Bundeswehr in seiner Funktion als höchster militärischer Repräsentant der Bundeswehr in internationalen Gremien. Im Rahmen dessen betreut SE III 3 die Themen Führungs-unterstützung und Führungsorganisation und somit auch die Erhöhung der Führungsfähigkeit, ebenso wie strategische Personal-angelegenheiten, Betreuung und Fürsorge im Einsatz sowie die Missionsanerkennung.
In diesem Zusammenhang ist SE III 3 gemeinsam mit den Abteilungen Führung Streitkräfte (FüSK) und Cyber & Informationstechnik (CIT) auch für die Sicherstellung der Führungsfähigkeit für den deutschen Kräftebeitrag an der NATO-Ostflanke zuständig.
Unterstützt wird SE III 3 durch das Planungsamt der Bundeswehr, dass die Erstellung der Operationellen Architektur verantwortet und das Thema Multi Domain Operations erschließt. Das Planungsamt der Bundeswehr nimmt mit bundeswehr-gemeinsamer Perspektive Funktionen für den Generalinspekteur und unterschiedliche Abteilungen im BMVg wahr.
Operationelle Architektur zur Analyse von Optimierungspotenzialen
Um die militärischen Instrumente zu orchestrieren, aber auch, um auf ein erweitertes gegnerisches Bedrohungsszenario kurzfristig reagieren zu können, bedarf es einer Verbesserung der Führungsfähigkeit inklusive der Anpassung von Verantwortlichkeiten, Strukturen und Verfahren. Anpassungsmöglichkeiten und Potenziale können unter anderem entlang der Operationellen Architektur (OpArch) analysiert werden. Die daraus getroffenen Ableitungen zur Fähigkeitsentwicklung befähigen das Bündnis in der Zukunft zum einen zur Durchführung von eigenen und zum anderen zur Abwehr von gegnerischen Multi Domain Operations.
Interoperable Führungsmittel sind ein zentraler Baustein der MDO-Befähigung. Nur mit Hilfe von Echtzeitkommunikation und einem hohen Grad an Vernetzung können die Entscheidungen und Effekte auf dem Gefechtsfeld in der geforderten engen, schnellen Abstimmung synchronisiert und zielgerichtet zur Wirkung gebracht werden. Diese Form der Befähigung, die bis 2025 umgesetzt werden soll und muss, ergibt sich aus den NATO-Vorgaben. Im Fokus stehen dabei die MDO-Kernelemente: Präzision, Wirksamkeit, Schnelligkeit.
Die gesamte operationelle Architektur – inklusive der grundlegenden Annahmen – soll 2023/2024 im Rahmen eines Wargamings, im Sinne einer strategischen Simulation, überprüft und validiert werden, um anschließend in der Praxis einsatzbereit zu sein.
Operationelle Architektur fördert ressortübergreifende Zusammenarbeit
Beim Thema Multi Domain Operations liegt der Fokus derzeit zumeist auf den militärischen Dimensionen. Dabei darf jedoch nicht vernachlässigt werden, dass die Effekte solcher Operationen – unabhängig von der regionalen Verortung – sowohl die gesamte Bundeswehr als auch die Gesamtheit von multinationalen Bündnispartner und zivilen Bereichen betreffen. So ist die reibungslose Zusammenarbeit und Kommunikation zwischen den beiden operativen Kommandos (Einsatzführungskommando und Territoriales Führungskommando) für den Erfolg in der Praxis von zentraler Bedeutung.
Infobox
Während das Einsatzführungskommando die Koordination aller Einsätze deutscher Streitkräfte außerhalb der Landesgrenzen übernimmt, ist das Territoriale Führungskommando für die nationale territoriale Verteidigung und Sicherstellung des Betriebs der Drehscheibe Deutschland verantwortlich. Im Rahmen dessen muss Deutschland die Erfüllung des Auftrags als zentrale logistische Basis für die Versorgung der NATO-Ostflankem garantieren.
Gesamtstaatliche Aufgabe LV/BV
Gerade im Anteil der Landesverteidigung, die immer als Teil der Bündnisverteidigung zu denken ist, muss der zivile Anteil von MDO zwingend unter Einbeziehung aller wesentlichen Ressorts und aller zivilen Akteure geplant und realisiert werden. Landes- und Bündnisverteidigung muss als gesamtstaatliche Aufgabe verstanden werden, die nicht allein durch die Bundeswehr bewältigt werden kann. Es bedarf des orchestrierten und koordinierten Zusammenwirkens aller zivilen und militärischen Akteure sowie der Industrie, um Schnittstellen und Aufgaben frühzeitig so zu etablieren, so dass diese im Ernstfall zuverlässig nutzbar sind. Dies abzubilden und zu testen ist ein typischer Anwendungsfall für die Operationelle Architektur.